Friedensbrücken - Webseite der Frauenföderation für Frieden e.V.

Frauen und Spiritualität

Aufbruch

Wilma Tropp, Sommer 2014

Vor gar nicht langer Zeit haben die christlichen Kirchen das Pfingstfest gefeiert, das Kommen des Heiligen Geistes. 50 Tage nach Ostern (Pessach) waren in Jerusalem die Menschen zum Fest der Ernte und Empfang der 10 Gebote (Schawuot) versammelt. Zu diesem Zeitpunkt, so erzählt die Apostelgeschichte, empfingen die Jünger Jesu den Heiligen Geist. Danach begann eine Zeit des Aufbruchs und Neubeginns für die damalige Gemeinde. Dieser Aufbruch war ein Weg ins Ungewisse, brechen mit alten Traditionen und Lehren, Verkünden einer Wahrheit, die jeder in sich und an sich selbst erfahren hatte.
Der Heilige Geist ist Teil der Dreieinigkeit, so wie das Christentum seinen Gott definiert: Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist. Dabei wird der Heilige Geist oft zum Ausdruck der Weiblichkeit, der Mütterlichkeit Gottes. Versteckt, aber doch präsent ist so, und nicht nur im Christentum, das Weibliche in Gott. Viele Religionen haben weibliche Göttinnen. Auch heute haben wir in unserem Sprachgebrauch die „Mutter“ Erde. Die große Mutter als Ursprung aller Existenz, als Schöpferkraft, als Kreativität, als Ursprung allen Weiblichen und Männlichen ist insbesondere für viele Frauen Bezugspunkt in ihrem Glauben und ihrer Spiritualität. Diese weibliche Spiritualität ist erneut im Aufbruch, auf der Suche, auf dem Weg, ihre Wurzeln zu entdecken. Es ist ein ganz persönlicher Aufbruch für uns Frauen.
Für mich ist dabei besonders wichtig, auf die tiefe Quelle der Weisheit in mir, in uns zu hören. Das bedeutet auch immer wieder, alle „Wahrheiten“, die wir bis jetzt übernommen haben, zu hinterfragen und mit dem, was wir erleben und erlebt haben, zu überprüfen. Nur wenn wir uns immer wieder fragen: „Ist das für mich wahr?“ können wir den Weg zu unserem eigentlichen Wesen, zu unserer in uns tief verborgenen Weiblichkeit finden. Das braucht Mut, den sicheren Strand zu verlassen, neue Wege zu gehen, alte traditionelle Lehren hinter uns zu lassen und uns auf das noch Unbekannte, auf das Territorium unserer eigenen Erlebnisse einzulassen.

Wenn wir uns fragen, was wirklich unsere ganz persönlichen Erkenntnisse sind, Erkenntnisse, die wir gesammelt haben, ohne sie von anderen Instanzen übernommen zu haben, mag es sein, dass wir auch auf Gefühle wie Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit stoßen. Wir können uns unterstützen und füreinander da sein in dieser Zeit des Aufbruchs, genau wie die Apostel zur Zeit Jesu. Einander zuhören und Mut machen, den Weg zu gehen.
Rollen wir die Geschichte unseres Lebens auf, werden wir vieles finden, das uns helfen wird, die Wurzeln unseres eigenen Wesens zu entdecken. Sicher gibt es auch vieles, an das wir uns nicht gerne erinnern. Doch wir werden erkennen, dass auch diese Ereignisse uns geholfen haben, spirituell zu reifen. Es ist wichtig, unsere Lebensgeschichte für uns zu formulieren, unsere eigene Stimme zu finden, unser eigenes Verständnis der Ereignisse in unserem Leben.
Weibliche Spiritualität ist immer in Begegnungen und Beziehungen präsent. Diese Begegnungen, diese Beziehungen sind so vielfältig und unterschiedlich wie wir Frauen selbst. Manche empfinden die Präsenz dieser Spiritualität, die Gegenwart der Weiblichkeit Gottes, die Reflektion ihrer eigenen Weiblichkeit in der Schönheit der Kirschblüten, für andere ist es der Duft der frisch gemähten Felder im Herbst, wieder andere erkennen es in einem unvergesslichen Augenblick der Einheit mit einem anderen Menschen, wieder andere in der Stille der Meditation.
Diese Beziehungen, diese Kommunikation, trennt nicht, sondern vereint was immer auch getrennt ausschauen mag oder in unseren Kulturen als getrennt dargestellt wird wie zum Beispiel Geist und Körper, Gott und Materie, Mensch und Schöpfung. Dieses Vereinen ist genau das, was weibliche Spiritualität ausmacht. Das sind Momente, die wir als heilig empfinden. Wie unbedeutend diese Erlebnisse anderen erscheinen mögen, für uns sind sie und bleiben sie Momente der Begegnung mit der ursprünglichen Weiblichkeit in uns, mit Gott Mutter, mit der göttlichen Weiblichkeit.
Unsere weibliche Spiritualität ist komplex, reift in zueinander in Beziehung stehenden Zyklen zu verschiedenen Zeiten, lebendig und unerwartet, nicht erfassbar durch systematische Darstellungen. Das Reifen unserer Spiritualität bringt uns Erkennen, Erfassen und Wertschätzen unserer Weiblichkeit, unserer ganz persönlichen, eigenen und unvergleichlichen Weiblichkeit. Diese Weiblichkeit und ihre Spiritualität sind wie ein Garten und seine Pflanzen. Kein Garten gleicht dem anderen, jede Pflanze ist in ihrer Schönheit einzigartig. Jede reift zu ihrer Zeit. Kein Garten ist weiter oder schöner oder besser als ein anderer. Wer könnte sagen, dass ein Garten mit Rosen schöner ist als einer mit Akelei, Mohnblumen und Margeriten? Wer kann einen Garten mit Obstbäumen vergleichen mit einem Gemüsegarten? Wer kann sagen, dass Schneeglöckchen weiter und besser sind als Rosen, weil sie eher blühen?
Ich lade ein zum Aufbruch und zum Entdecken des ganz persönlichen Gartens.

Aufbruch

Aufbruch ist Abschied
Abschied vom Alten
Ein Klagelied
Die Trauer verwalten

Aufbruch ist Wagen
Verlassen der Festung
Unsicherheit ertragen
Ob alt oder jung

Aufbruch ist Hoffnung
Verlassen der Enge
Frohe Erwartung
Nie mehr Zwänge

Aufbruch ist Leben
Erleben im Sein
Dem Jetzt ergeben
Wie prickelnder Wein

Aufbruch ist Erkennen
Jeden Tag, jede Stunde
Die Zeit mein eigen nennen
Jede Sekunde

Aufbruch zum eigenen Land
Ich verlasse den Strand
Des Ozeans Wogen
Will ich erproben

Aufbruch ist Ankommen
Ankommen im ich
Mein Wesen gewonnen
Erkenne ich dich

Aufbruch ist Dasein
In der ewigen Göttin
In Liebe so rein
Der Himmel so weit

Aufbruch ist Rückkehr
Zu ewigem Grund
Des Neubeginns Stund

Wilma Tropp


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