Friedensbrücken - Webseite der Frauenföderation für Frieden e.V.

Wir Großmütter

Viele von uns sind in einem Alter, in dem wir Großmütter sind oder sein könnten. So, wie wir einen Teil dieser Webseite und ebenfalls unserer Arbeit den jungen Menschen widmer, so auch den älteren. So meinte unsere erste Vorsitzende Frau Rita Seewald am Tag ihrer Wiederwahl (August 2014): "...wir älteren Frauen können den Arbeitskreis der Großmütter gestalten, schreiben, dichten, erzählen, beraten und die Vergangenheit mit der Gegenwart verweben."

      

 Bild aus http://www.horizonworld.de

So wie es den Rat der 13 Großmütter gibt, so hat auch jede von uns "Großmüttern" ihre Weisheit und Erfahrungen, die es wert sind, mitgeteilt und gehört zu werden. Hier ist Ihr Forum!

„In Ihrem Alter…“

Die letzten zwei Jahre haben mich vor viele Herausforderungen gestellt. In diesen letzten Tagen dieses Jahres gibt es nun ein paar ruhige Stunden und während ich meine Weihnachtsgeschenke vorbereite, stricke, bastele, backe und nähe, gehen mir so manche Gedanken durch den Sinn. Ich merke, dass ich anders reagiere, anders denke als ich noch vor ein paar Jahren gedacht habe, Situationen anders einordne, ruhiger und gelassener bin. Ich habe das Bedürfnis aufzuschreiben, was ich an Erfahrungen gesammelt habe, zumindest für meine Kinder. Ich bin mir bewusst, dass ich mehr als zwei Drittel meines Lebens hier auf Mutter Erde gelebt habe. So ist jeder Tag so bedeutungsvoll. Meine Sehnsucht ist es, jeden Tag mit einem besonderen inneren Erleben zu ehren. Ist es das, was älter werden beinhaltet? Ändert sich unsere Spiritualität mit unserem Alter?
Mit dem Thema „Spiritualität des Älterwerdens“ setzte sich 2012/2013 die öffentliche Ringvorlesung im Rahmen des Gasthörerprogramms FAUST der Hochschule Niederrhein auseinander. Wissenschaftler und Fachpraktiker aus Theologie, Philosophie, Psychologie, Medizin, Kulturgeschichte sowie Sozial- und Bildungswissenschaft beschäftigen sich aus unterschiedlicher Perspektive mit dem spirituellen Prozess des Älterwerdens, das heißt mit der Reifung des inneren Menschen, mit der Suche nach Übereinstimmung mit dem Selbst, mit dem Erleben von Achtsamkeit, der Versöhnung mit dem eigenen Schicksal und der Endlichkeit des Lebens.
In dieser kurzen Programmbeschreibung ist vieles von dem, was ich erfahre: Achtsamkeit im Umgang mit mir, den Menschen um mich herum, den Situationen, die ich erlebe. In dieser Achtsamkeit erlebe ich das Geheimnis des immer noch vorhanden und jetzt umso intensiveren Sich Entfaltens meiner Persönlichkeit. Die Entwicklung unserer Spiritualität, das Reifen unserer Persönlichkeit ist nicht begrenzt durch das älter Werden. Ganz im Gegenteil, das älter Werden und die Veränderungen in meinen Wahrnehmungen und Reaktionen machen mich freier.
Karl May schrieb an Willy Einsle (1905): „Das Blühen bringt Liebe, das Reifen bringt Dank.“ Auch das erfahre ich immer stärker. Es gibt so viele wunderschöne Erinnerungen in meinem Leben. Was machen da die Rückenschmerzen! Schließlich hat mein Rücken es mir möglich gemacht, diese schönen Zeiten erlebt zu haben.
Ob auch andere merken, dass sich in mir etwas verändert? Jedenfalls meinte neulich eine junge Beraterin in einem Brillengeschäft zu mir, dass in meinem Alter regelmäßige Untersuchungen beim Augenarzt wichtig wären. Nun, so offen hat mich noch selten jemand auf mein älter werden angesprochen. Aber, ich habe es mit einem stillen Lächeln entgegen genommen. Ja, es ist so.

Es gibt noch viele Gedanken zu diesem Thema, aber sie reifen erst in mir. Ich melde mich wieder, wenn ich weiter gekommen bin.
Ihre Edeltraude Lücker

Hausaufgaben machen, bevor das Leben geht

Ein merkwürdiger Titel, nicht wahr?

Und doch drückt er aus, was mich im Augenblick beschäftigt. Seit einiger Zeit pflegen wir die Mutter meines Mannes. Ich kenne sie seit meinem 15. Lebensjahr. So ist sie mir ans Herz gewachsen wie meine eigene Mutter. Jetzt ist sie fast 90 Jahre alt und mehr und mehr schwinden ihre intellektuellen und geistigen Fähigkeiten. Oft reagiert sie für uns unverständlich, schimpft, klagt an, verurteilt und spricht immer wieder über dieselben Situationen. Zeit ist für sie nicht mehr fassbar. Die Zeit, die wir bei ihr verbringen, kann sie kaum noch registrieren. Es gibt nichts, was sie noch alleine machen könnte, doch auch das ist ihr nicht bewusst. Sie kann nicht mehr einordnen, was vor einem Jahr war und was jetzt ist. Denn „vor ein paar Tagen hat sie noch für sich selbst gekocht, ist noch draußen gewesen, hat die Straße gekehrt, Äpfel aufgesucht“, all das gemacht, was ihr Leben bestimmt hat.

Das Schwierigste für uns sind ihre Reaktionen auf uns. Immer wieder wird mein Mann angeklagt. Warum? Immer wieder klagt sie ihre Schwester an, warum? Immer wieder fühlt sie sich betrogen, hintergangen, belogen.

Was ist in ihrem Leben geschehen? Was hat sie, die einst lebensfrohe, immer aktive, sehr selbstständige Frau und Mutter, die fürsorgliche Oma zu so einer alten, vergrämten Frau gemacht?

Oft denke ich, dass ich so nicht werden möchte. So möchte ich meine Kinder nicht behandeln, wenn ich alt und pflegebedürftig werde. So möchte ich nicht reagieren. Aber, wie kann ich das vermeiden? Wie kann ich mir sicher sein, dass ich selbst, wenn mein Verstand nicht mehr richtig funktioniert, freundlich bleibe, dankbar und zufrieden?

In vielen Gesprächen haben wir versucht, zu verstehen, herauszufinden, was mit unserer Mutter geschehen ist. Über Monate hat uns dieses Thema beschäftigt und auch jetzt kommen wir immer wieder zu neuen Erkenntnissen. Die Essenz jedoch ist: Unsere Mutter hat keine Zeit gehabt, sich klar zu werden über ihre Gefühle, Gedanken, Erlebnisse, Erinnerungen und zu verarbeiten, was schwer für sie war.      Sie war sich nie bewusst, dass sie sich ihrer jüngeren Schwester gegenüber zurückgesetzt fühlte. Nie hat sie es ausgedrückt, alle Gefühle hat sie in ihrer Arbeit erstickt. Auch ihre Verletzung durch den frühen Tod ihres Mannes hat sie unterdrückt und versucht zu vergessen. Sie fühlte sich von ihm verlassen. Auch seine Krankheit hat sie verdrängt. Jetzt bekommt mein Mann alles ab, jedes Mal, wenn er in ihr Zimmer geht. Er sieht seinem Vater sehr ähnlich, geht wie er, spricht wie er.

Immer wieder hat unsere Mutter darauf bestanden, dass es ihr alleine am besten geht. Aber auch das war Verdrängen ihrer wirklichen Sehnsüchte. Jetzt verlangt sie nach Begleitung, fühlt sich einsam, selbst wenn wir nur kurz weg fahren zum Einkaufen.

So geht sie jetzt durch alles, was sie in ihrem Leben nicht aufgearbeitet hat, nicht verstanden hat, nicht anerkennen wollte, verdrängt hat. Sicher hat sie nie gelernt und nie Hilfe bekommen, diese Gefühle in sich zu sortieren und zu bearbeiten. Das war in ihrer Generation nicht wichtig und auch nicht richtig. Frauen waren die Dienerinnen und hatten ihre ehelichen und mütterlichen Pflichten zu erfüllen. Es galt für sie nur ihre Arbeit, das, was sie für ihre Familie eingesetzt hat. Viel Äußeres hat sie geleistet, sich immer wieder selbst zurückgesetzt, über Müdigkeit und Erschöpfung hinweg weitergemacht. Aber innerliche Arbeit, ihre inneren Hausaufgaben, die hat sie nicht machen können. Das macht es ihr jetzt schwer ihre Hände ruhen zu lassen, Hilfe anzunehmen, dankbar zu sein für Pflege und Unterstützung. Es ist schwer für sie, mit den Gefühlen fertig zu werden, die jetzt endlich hervorbrechen können. Das äußert sich in Anklage, Wut, Zorn, Verzweiflung, Unzufriedenheit, dem Gefühl der Einsamkeit und Nutzlosigkeit.

Wir können ihr nur wenig helfen, diese Hausaufgabe ihres Lebens noch nachzuholen. Wir können sie nur pflegen, ihr unsere Liebe und Anerkennung ihrer Arbeit geben, immer wieder zuhören und manchmal Fragen stellen, um ihre Gedanken in eine andere Bahn zu lenken.

Manches Mal habe ich mich gefragt, warum das alles? Wenn ich meinen Mann verzweifeln, meine Schwägerin weinen sah, habe ich nach anderen Lösungen gesucht. Wäre es nicht doch besser, sie gegen ihren Wunsch einfach in ein Pflegeheim zu geben? Doch, letztlich ist mir klar geworden, dass wir hier gefordert sind, die Grenzen unserer Fähigkeit zu lieben zu erweitern.

Und mehr noch, wir erkennen, wie wichtig es ist, dass wir unsere Hausaufgaben jetzt machen, bevor unser Leben geht. Das heißt, unsere Gefühle zulassen, anschauen, erkennen woher sie kommen, ihre Berechtigung prüfen, mit unserem vertrauten Partner, unserer Freundin darüber sprechen. Manchmal hilft es, sie aufzuschreiben, aus der Entfernung des Lesenden neu zu betrachten. Oft braucht es die Klärung einer Situation. Manchmal einen Spaziergang und Meditation über dieses Gefühl. Auch gehört dazu die Erkenntnis, dass diese Klärungen in Stufen geschehen, immer wieder dieselben Gefühle auftauchen auf anderen Ebenen, manchmal über Jahre hinweg. Diese Erkenntnis ist so wertvoll. Ohne unsere Mutter so tagein tagaus zu pflegen, sie zu begleiten und zu ertragen, hätten wir darüber nie nachgedacht.

Am besten fangen wir gleich an, egal wie alt oder jung wir sind. Keine ungewaschene Wäsche stehen lassen, keine unbequeme Gefühle unbearbeitet verdrängen. Alles auf den Tisch legen, Klarheit schaffen. Alles besprechen, solange die Gefühle nicht die ruhige Kommunikation behindern oder unmöglich machen. Es nützt nichts, Unerledigtes und Unverstandenes in die geheimen Schubladen unseres Gehirns zu stopfen und so zu tun als sei alles in bester Ordnung. Irgendwann quellen die Schubladen über und wir können die Unordnung in uns nicht mehr bewältigen.

Also, Hausaufgaben machen bevor das Leben geht. Ich habe da noch viel zu tun, damit meine Enkelkinder bis zum Schluss eine zufriedene dankbare Oma haben können. Sie auch?

Wilma Tropp

 

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